25. Dezember 2014No Comments

Vorweihnachtstress auf Peruanisch

Vor zwei Wochen hieß es endlich Rucksack packen und los. Unser Ziel: Iquitos. Die Dschungelmetropole ist mit 400.000 Einwohnern der größte Ort der Welt ohne Landanbindung, mitten im Amazonas-Regenwald. Für die Anreise brauchten wir ganze vier Tage. Erst 18 Stunden im Bus über die Anden, dann drei Tage im Frachtkahn auf dem Wasserweg. Deckpassage in Hängematten. Wässrige Suppe und Reis mit Hühnchen inklusive. Und das Ganze für läppische 70 Soles (kaum 20€). Es hätte schlimmer sein können.

Nach einer Woche in Iquitos wollen wir die Stadt noch vor Weihnachten verlassen. Ein Frachtschiff fährt am Vorweihnachtstag, doch die Aussicht auf Kochbanane und Yuca-Wurzel auf Arroz Blanco an Heilig Abend finden wir nicht so prickelnd.

Nach vielem Hin- und Her ergibt sich eine Möglichkeit, die in keinem Reiseführer zu finden ist. Auf Gut Glück fahren wir mit einem Toyotabus mit ca. 15 Sitzplätzen, in den gerne mal 25 Personen passen, ins Dörfchen Nauta. Dort fließen Marañon und Ucayali zusammen und bilden den Amazonas. Angeblich fährt am nächsten Tag ein Speedboot ab, das zwar etwas teurer ist, für die Strecke stromaufwärts aber nur anderthalb Tage benötigt. In einer schäbigen Baracke am Hafen können wir zu unserer großen Freude tatsächlich Tickets ersteigern und fühlen uns vom Schicksal geküsst. Was ich zum Zeitpunkt des Ticketkaufs noch nicht ahnen kann: Die Reise nach Moyobamba wird uns drei Tage und unendlich viele Nerven kosten. Kommt vor, wenn man für wenig Geld unterwegs sein will. Wir hätten die gleiche Strecke für 93€ fliegen können.

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Die Fahrt im Holzboot mit Außenbordmotor und Plastikplanendach wird zur Tortur bzw. zum Abenteuer, je nachdem wie man es nimmt. Dicht gedrängt nehmen wir auf schmalen Stühlen Platz. Sie wurden aus zusammengeschweißten Eisenstangen geformt und mit elastischen Gummiseilen, wie man sie bei uns als Wäscheleinen verwendet, umwickelt. Im Gang werden für die letzten Passagiere ein paar Holzhocker aufgestellt.

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Nach einigen Stunden habe ich mich an den Fahrtwind im Gesicht und die Knie im Rücken gewöhnt. Ich ziehe meine Kapuze tiefer ins Gesicht und kauere mich hinter die blaue Plastikplane, die uns vor Spritzwasser schützen soll. Mit Musik von den Isbels auf den Ohren schließe ich die Augen und träume mich an Orte mit Beinfreiheit und leckerem Essen.

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Jap, der Magen knurrt. Zeit fürs Frühstück. Wir steuern ein kleines Dorf am Ufer an, an dem uns ein Dutzend Frauen und Kindern mit Tabletts voller Essen erwarten. Gegrillter Fisch, Reis mit Hühnchen und Bohnen, Bananenchips, Popcorn, etwas das wie Weintrauben aussieht. Was klingt wie im Paradies, wird zur Nervenzerreißprobe. Kaum erreichen wir die schlammige Uferböschung, stürzen sie sich auf uns wie eine Horde wildgewordener Amazonen.

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Das Boot gerät in gefährliche Schräglage. Einige Passagiere lehnen sich auf unsere Seite rüber, winken mit Münzen, rufen durcheinander ihre Wünsche hinüber. Chaos. Ich werfe mich auf die andere Seite und bilde mir ein, damit das Boot vorm Kentern zu bewahren. Bis zum Hals stehen die Frauen im Wasser. Man könnte meinen, sie möchten uns vor dem Verhungern bewahren. Dabei ist es genau andersherum.

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Als jeder versorgt ist, legen wir wieder ab und setzen unsere Fluss-Odyssee fort. Das grüne Ufer zieht vorbei. Wunderschöne exotische Bäume, wilde Pflanzen und riesengroße Palmen. Hin und wieder eine schilfbedeckte Hütte und Bananenplantagen. Es wimmelt von Kindern. Wir überholen kleine Holzboote, auf denen neugierig dreinblickende Menschen mit indigenen Gesichtszügen ihre Ware ins nächste Dorf schippern. Im Wasser jede Menge Treibholz und Plastikflaschen, Plastikgabeln, Steroporbehälter und anderer Abfall. Peru hat ein riesengroßes Müllproblem. Oder besser gesagt ein Bildungsproblem. Es gibt kein Bewusstsein für Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Aber es ist eine Sache, Plastik im Fluss schwimmen zu sehen, eine andere, zuzusehen wie Mitreisende links und rechts ihren Müll über Bord werfen. Katharina versucht verzweifelt unseren Sitznachbarn klar zu machen dass das nicht gut für die Natur ist und hätte sie am liebsten dazu verdonnert an Ort und Stelle die Doku “Plastic Planet” anzuschauen. Da das Onboard-Entertainment-System in Speedbooten aber wahrscheinlich frühstens in 30 Jahren eingeführt wird, bleibt es bei verwirrten Blicken ihrerseits und Resignation unsererseits. Kommt vor, wenn verschiedene Kulturen aufeinander treffen.

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In der Abenddämmerung legen wir im Dörfchen Alianza an, etwa auf halber Strecke zwischen Nauta und Yurimaguas. Hier bekommen wir eine nett gemeinte, aber abscheulich schmeckende Abendmahlzeit und ein einfaches Lager mit Matratze und Moskitonetz im Freien. Um drei Uhr nachts werden wir geweckt. Es geht weiter. Mir tut alles weh. Es ist die schlimmste Nacht seit letzter Woche im Regenwald, aber das ist eine andere Geschichte.

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Es ist stockdunkel, als wir ablegen. Ein Schiffsjunge steht am Bug und leuchtet die Ufer ab, während der Typ hinten am Motor vorsichtig versucht sich seinen Weg zu bahnen. Ich komme mir vor wie ein Flüchtling. Oder vielleicht schmuggeln wir einen Zentner Koks den Amazonas entlang. Letzteres kann ich bis zuletzt nicht endgültig ausschließen. Warum kein Reiseführer diese Tour beschreibt, ist mir nun vollkommen klar. Dieses Mal sichern wir uns vordere Plätze, wo auf den ersten Blick etwas mehr Platz und das Dröhnen des Motors nicht so laut ist. Dafür hängt über uns ein Lautsprecher, aus dem die nächsten zehn Stunden lang Cumbia-Rhythmen in ohrenbetäubender Lautstärke schallen.

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Das Frühstückschaos vom Vortag wiederholt sich (ich bekomme aber nichts runter), es steigen in Lagunas noch weitere Personen zu, die sich zwischen Stühle und Hocker auf den Boden quetschen. Mir ist kalt, ich bin müde und habe irgendwie doch Hunger. Schließlich ergebe ich mich einfach meinem Schicksal und warte auf unsere Ankunft.

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Irgendwie und irgendwann kommen wir an. In Yurimaguas. In Tarapoto. Und schließlich in Moyobamba. An Heilig Abend. Vier Tage, nachdem wir in Iquitos aufgebrochen sind. Dass wir nachts auf dem Weg nach Tarapoto wegen eines Erdrutsches das Auto wechseln und zwei Stunden warten müssen, bis die Straße frei ist, sei hier nur als Randnotiz erwähnt.

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So wird Weihnachten dieses Jahr nicht nur wegen des einmaligen Ortes, sondern auch wegen der widrigen Umstände im Vorfeld zu einem ganz besonderen Fest. Ein bequemes Bett, ein flauschiges Handtuch, funktionierendes Internet und ein Stückchen leckere Pizza mit Menschen, die einem viel bedeuten. Das ist gerade alles, was wir brauchen, um glücklich zu sein. Man wird bescheiden auf Reisen.

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9. Dezember 2014No Comments

Sebastián

Marcos Arenas Oliden and Sebastián Fiestas Ramirez are sitting on a bench at the beach promenade of Pimentel. They just met. We start chatting. It's a bright, sunny day. The beach is empty. In the distance, fishing boats are gently rocking on the waves coming in from the Pacific. There are about 800 fisherman in Pimentel. Sebastián used to be one of them. He is 74 years old and retired, but has been volunteering at the local Marina. He checks the papers of Fisherman and helps if there are problems with authorities, for example when crossing the border to Ecuador. He likes his current life, but often misses the feeling of being out at sea.

Once, a long time ago, I caught a fish which weighed 250 kilograms. Nowadays you don't catch fish that weigh more than 100 kilograms. I used to work on a big fishing ship far away from the coast. It would take us 20 hours on a smaller boat to reach it. There we stayed until we had caught five tons of fish, usually a week or so. Or until we ran out of petrol. There used to be more than enough fish in the sea: Bonitos, Sucos, Cachemas, Anchovetas, Caballa, Mero, Tollos... It was good work. Out there, when we were not working, we played cards, listened to the radio, talked, slept a lot. We didn't drink much alcohol. And didn't argue much either. Only sometimes, work-related.

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We have a long tradition of fisherman in our family. One time I was on a boat with my brother and some other fisherman, close to the shore, just south of Santa Rosa. It was four o'clock in the morning. It was pitch dark and a storm came up. A wave swept everyone off the boat, except for one person. A kid, 18 years old, had bound a rope around his hip. We had to cut all the ropes of the nets and eventually managed to get everyone back on board. No one died, but it was one of the worst experiences of my life. Every year a few fisherman die out there.

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8. Dezember 2014No Comments

Margarita

For anyone passionate about travel and photography, experiencing exotic countries like Peru is like an endless string of exciting photo opportunities and going to the mercado in Pimentel is no different. It is a feast for all senses. Fresh fish, vegetables and fruits pile up along the long ailes. The tangy smell of chili enters my nostrils as I walk past heaps of spices and salsa sauces. The meat section is both fascinating and repulsive and I can't help but wonder what my vegetarian friends would say to the sliced carcasses of pigs and chickens hanging from racks of metal. Bloodstains on the floor testify to the freshness of the meat, because other than the breeze that penetrates the lofty market hall, there is no cooling whatsoever.

I have shopped at the mercado many times before, but feel a little uneasy this time. Carrying around my bulky DSLR camera is like screaming "I am rich" into the faces of locals, most of whom struggle to make a living with the few goods they are selling. Trinidad and I approach a few elderly market women, that look like they have a story to tell. Their expressive faces are beautiful in their own way and radiate a kind of content you immediately feel drawn to. Every time I ask if I can take a picture, they kindly refuse my request.

Old people here are very superstitious. They don't want their picture taken, because they believe that something bad might happen to them. Like a kidnapping. Or someone might ask them for money

Margarita tries to explain the behavior of her neigbors to us, as she hands over a bag of vegetables to a customer. She has been working at the market for 24 years, selling produce from the region. She is picking corn kernels from the cob and hands them over to Graciela, who grinds them to a mash and then wraps them in corn husks to be cooked later and sold as humitas, a traditional native American dish. We don't get to talk much, but she is happy to have their picture taken.

A few weeks later I return with a print of the photo and get a smile and three corncobs in return.

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8. Dezember 2014No Comments

Franklin

Franklin comes to the Muelle in Pimentel often to fish. He doesn't use a fishing pole, just a thin nylon thread with a hook and a stone at the end. A hand full of small mussles serves as bait. He opens one, scrapes off the meat and pokes the hook through it. With a quick movement he throws it far into the sea and waits for fish to bite.

When I stand here, I don't think of anything. Time passes, without you even noticing it. Before I retired I used to be a teacher for history and geography at the school Santa Maria de la Paz in Chiclayo. It was a very fulfilling job. Many students come from unfortunate backgrounds and dysfunctional families. I believe students learn a lot of unimportant stuff in high school. It doesn't make sense to make them memorize the names of all countries in Africa. What for? I think as a teacher it is crucial to talk to the students, learn about their circumstances and find out what knowledge can help them later on in their lives. I wanted to teach them something important. Some former students became good friends and many still recognize me in the streets and say hi.

Trinidad and Franklin go on to talk about the educational system in Peru. He is quiet happy with the changes the minister of education has made to the system recently and hopes for a positive lasting effect. Just as we are about to leave, a fish catches the bait and seconds later dangle on Franklin's hook. It will be dead within the hour. And probably on a plate later tonight. Provecho!

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7. Dezember 2014No Comments

Julio

Before we got to know Julio Canelo, we simply called him "the toothless guy". He greeted us with a friendly and loud Hello every time he saw us. It kind of creeped out the girls. It still does, actually, but us guys enjoy a chat with him every once in a while. About Germany, about Pimentel, but mostly about football.

I used to be a professional football player. I played all over Peru. Cusco, Arequipa, Chiclayo. We spent a lot of time on the road and in expensive hotels. In my mid-twenties I had a serious knee injury, but I was very lucky to recover without any long-term damage. What destroyed my career was not an injury. It was too much alcohol and too many women.

Julio calls himself "El hijo del pueblo". Everyone knows him. He now earns his living running errands and doing small jobs for people in Pimentel. Going for walks with our office dog Kira, taking care of our neighbor's garden and looking after the house when he is gone for the weekend. For the picture he squats down like back in the days, as if he was posing for a group picture with his football team.

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Julio

6. Dezember 2014No Comments

Sonia

Sonia Burgos Larrea has seven dogs. She feeds them, she takes care of them, makes sure they don't have flees and gets medication for them if necessary. You could call her the advocat of the street dogs of Pimentel.

I saw this poor creature at the side of the road. It looked terribly beaten and thin as a stick. There were patches of flesh where there should be fur. I could literally feel the pain it was in. So I called a vet and asked what he could do. There was nothing really... except putting it to sleep. In that moment I decided that I wanted to help the street dogs of Pimentel lead a better life. I talked to vets andcollected signatures, but when I filed a petition at the municipality in favor of the dogs, the papers disappeared and I had to file a new request. It's still a long way, but the situation has improved a lot.

We meet Sonia and her granddaughter Romina in front of her house. One of her dogs lies at the curb. He raises his head in curiosity, before he goes back to sleep.

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6. Dezember 2014No Comments

Augustin

Augustin Ayala Martinez started working as a cleaner for the municipality, but shortly after decided to follow his passion: gardening. A colleague encouraged and helped him to make the transition 40 years ago. Since then, he has been working as the gardener and landscape designer at Parque de Quiñones, Pimentel's Plaza de Armas.

The best tree to sculpt is a cypress. I come up with an idea for a sculpture or an arrangement of flowers, order all the necessary plants and then start working on site. If I realize it doesn't work out the way I want, I improvise. Sometimes I lie awake at night and think about how I can improve the sculpture.

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Gardening is a form of art. I am always happy when people walk by and tell me how much they enjoy the park, or how they discovered a new sculpture.

Augustin's favorite and most sophisticated sculpture is the crocodile.

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Trinidad and I meet Augustin and his wife Ameli during their lunch break under one of the biggest trees in the park. Ameli joined his work 25 years ago. None of their children pursues a career in gardening, but one of their sons sometimes looks after the park. Grandson James tells me he wants to become a policeman when he grows up. He picks up the big scissors and starts trimming the grass. Maybe there is still hope for continuing the family business.

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Every village and city in Peru has a square called the "Plaza de Armas". It is the center of public life and usually the cleanest spot in town.

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Parque de Quiñones

Parque de Quiñones

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2. Dezember 2014No Comments

Estamos viajando contigo – Angekommen in Peru

Als ich am Flughafen in Lima aus der Maschine steige ist es unerwartet kühl. Hier beginnt gerade der Frühling und die Temperaturen steigen langsam. Es ist dennoch hauptsächlich bewölkt, über dem Land liegt etwas wie ein leichter Nebel, Wolken vielleicht, es kann aber auch an dem Smog in der Megastadt liegen. Lima hat fast 10 Millionen Einwohner. Riesige Straßenzüge durchziehen die Hauptstadt wie Nervenbahnen, vierspurig, fünfspurig, sechsspurig, man weiß es nicht so genau, weil die Autos, Kombis und Kleinlaster sich nicht an die verblassten Straßenmarkierungen halten. Man sagt, wenn man in Lima Auto fahren kann, kann man überall fahren (außer in Indien vielleicht) vielleicht).

Die Taxifahrt vom Flughafen zum Hotel führt durch heruntergekommene Industriegebiete, schicke Wohngegenden und entlang des langen Küstenstreifens nach Miraflores, den touristischen Stadtteil Limas. Die, die es sich leisten können, wohnen und arbeiten hier. Durchgestylte Restaurants mit deutschen Preisen und einer umfangreichen Speisekarte reihen sich an Banken, Hochhauskomplexe, Einkaufszentren, Cafés. Dazwischen kleine Parks, hier und da Palmen und englischer Rasen. Oben entlang der Steilküste verläuft die Promenade von Miraflores. Touristen (ein paar Weiße,, aber hauptsächlich Latinos) schlendern an ihr entlang, schießen Fotos und warten auf den Sonnenuntergang. Über uns kreisen Paraglider, uns zu Füßen breitet sich der Pazifik aus wie ein seidener Teppich. Tiefes Blau durchzogen von weißen Streifen, in denen dutzende Surfer auf die perfekte Welle warten. Nur wenige Minuten dauert es, bis die Scheibe vom Horizont verschluckt ist und sich ein grauer Schleier über die Stadt legt. Um 19 Uhr ist es dunkel und es wird noch mal merklich kühler.

Ich bin müde. Die anderen auch. Nach insgesamt 32 Reisestunden sitze mit drei anderen Backpackern im „Sophie" in der Nähe unseres Hostels. Anstatt zu dem günstigen China-Imbiss um die Ecke zu gehen, entscheiden wir uns für das teure Restaurant mit peruanischer Küche um die andere Ecke. Nun steht vor mir ein Teller "Ají de Gallina“ (Hühnchen in Chili-Marinade auf Reis) und ein süßliches Bier aus Huaraz im Anden-Hochland. Lecker!

Bernd und Lukas aus Deutschland und Lea aus Österreich lerne ich am Flughafen von Panama City kennen. In Frankfurt sind wirgestiegen, zusammen mit einem Haufen Pauschal-Touristen, die sich offensichtlich dafür entschieden hatten ihren Jahresurlaub in der Dominikanischen Republik zu verbringen. In deren Hauptstadt nämlich, Santo Domingo, legten wir einen Zwischenstop ein. In deren Hauptstadt nämlich, Santo Domingo, legten wir einen Zwischenstop ein. Während diese in Santo Domingo aussteiegen und sich vom Taxis in ihre All-Inklusive Hotels bringen ließen, bleieben wir Weiterreisenden sitzen und warteteten darauf, dass die Maschine vollgetankt wird und wir weiterfliegen können. Für die nächsten drei Stunden hatte ich die mittlere Sitzbank mit drei Plätzen für mich alleine, lege mich quer über die Plätze und versinke in einen unruhigen Schlaf. Die verbliebenen Reisenden sind überwiegend Langzeitreisende: Lukas, der mit seiner Freundin durch Peru und Bolivien reisen will, Delie, die von hier weiter nach Santiago in Chile fliegt, eine Schwedin, für die es noch weiter nach Bolivien geht. Und andere – hauptsächlich junge Menschen – – mit randrandvollen Backpacks. Keiner von denen, mit denen ich hier ins Gespräch komme, hat ein Rückreise-Ticket in der Tasche. Ich habe das Gefühl, dass ich noch viele von ihnen auf meiner Reise treffen werde.

Der Abend mit Bernd, Lukas und Lea klingt bei einem Bierchen auf der Dachtrasse des Explorer's House aus, einem einfachen aber netten Hostel in Miraflores. Die Nacht verbringe ich in einem kleinen Doppelzimmer mit dünnen Wänden und kitschig-bunten Vorhängen. Am Morgen wache ich schon um fünf Uhr auf. Es ist noch dunkel, aber auf den Straßen wird schon wird wild gehupt. Ich bleibe liegen, schnappe mir meinen Notizblock und schreibe ein paar Eindrücke auf, bevor ich doch noch mal für zwei Stündchen vor mich hin döse. Nach einem spärlichen Frühstück holt mich José im Explorer’s House ab. Er arbeitet für Airbus in Bremen und ist gerade auf Familienbesuch in Lima. Der Kontakt kam durch eine Freundin meiner Mutter zustande. Die Möglichkeit einen Tag mit ihm zu verbringen, ein absoluter Glücksfall! Wir spazieren durch Miraflores, entlang der Avenida Principal zum Plaza Kennedy und setzen uns dort in ein Café. Dabei unterhalten wir uns fast ausschließlich auf Spanisch, wechseln nur dann ins Deutsche, wenn ich mit meinem Vokabular mal gar nicht weiter weiß. Er lädt mich am Nachmittag zum Essen mit einem peruanischen Freund ein, den er vor einigen Jahren inein, den er vor einigen Jahren in Bremen kennen gelernt hat, den es aber mittlerweile wieder nach Lima hezogen haen gelernt hat, den es aber mittlerweile wieder nach Lima hezogen hat. Es folgt eine Taxi-Fahrt, die zu erleben mir genauso viel Angst wie Freude bereitet hat, weil sie einfach so verrückt ist. Eine halbe Stunde lang hupen und drängeln wir uns unseren Weg durch den dichten Verkehr Limas, hinter uns das unaufhörliche Rattern des Auspuffs, das jeglichen Versuch eines Gesprächs im Keim erstickt.

Das Restaurant Señor Limón ist schon wieder eines mit deutschem Preisniveau, allerdings weit ab vom Tourismus-Treiben der Pazifik-Promenade der Pazifik-Promenade. Die Preise, die Warteschlange und das moderne Ambiente lassen vermuten, dass es sich bei Señor Limon um ein echtes Gourmet-Restaurant handelt. Auf der Speisekarte stehen Fischgerichte und Meeresfrüchte vom Feinsten. Wir bestellen mehrere Teller, darunter Variationen von Ceviche, rohem Fisch mit Limetten-Marinade. Die peruanische Spezialität wird mit einer scharfen Sauce, Zwiebeln, Süßkartoffeln und gerösteten Mais serviert, dessen Körner drei mal so groß sind wie die, die wir bei uns kennen. Es schmeckt ungewöhnlich, aber sehr gut. Mit den Tellern leeren sich auch meine Adrenalin-Speicher, die seit meiner Ankunft in Peru auf Hochtouren laufen und meine Aufnahmefähigkeit löst sich langsam aber sicher in Teilnahmslosigkeit auf. Die Zeitverschiebung und die Aufregungen des Tages fordern ihren Tribut. Die Rechnung von 175 Soles (etwa 50€) begleicht Victor mit seiner Kreditkarte. Er besteht darauf uns einzuladen und es es macht nicht den Eindruck, als falle ihm das schwer.

Nicht allen Peruaner geht es so gut wie Victor. Die allgemeine Wirtschaftssituation ist heute zwar besser als noch vor zwanzig Jahren, doch wie so oft wird er vermeintlich neu gewonnene Reichtum ungleich verteilt. In Lima wird ein verglastes Hochhaus nach dem anderen gebaut, während sich in den Dörfern auf dem Land immer noch einfache Behausungen und Wellblechhütten aneinander reihen. Die Arbeitslosigkeit bei den jungen Peruanern hier ist hoch. Mit Smartphones und Internet kam die Illusion des Fortschritts, das gesellschaftlich aber keineswegs nur positive Entwicklungen nach sich zog. Korruption und Bestechung sind immer noch weit verbreitet, der Drogenhandel boomt. Seit 2002 gilt Peru als der größte Kokain-Produzent der Welt. Gerade erst wurde in Trujillo eine Lieferung von 7,7 Tonnen des Rauschgifts abgefangen. Ein anderes Problem sind ungeplante Schwangerschaften bei den 13 bis 16-jährigen Jugendlichen, von denen viel zu viele durch unsichere Abtreibungsversuche sterben. Analphabetismus scheint immer noch ein Thema zu sein. Die Regierung versucht verzweifelt der Situation Herr zu werden. An Wänden und Häusern entlang der Panamericana prangen großflächig die Namen der Kandidaten, die Anfang Oktober ins Amt der Regionalvertretungen gewählt wurden: Acuña, Murgia, Sanchez… In blauen und roten Blocklettern stehen sie auf weißem Grund gemalt wie schlechte Graffiti. Es ist die einzige Form von Streetart, die ich in meinen ersten Tagen in meinen ersten Tagen in Peru sehe. Die riesigen Billboards, die sich hoch über Häuser, Fabrikhallen und Kirchen erheben, bleiben den Konzernen vorbehalten. „Estamos viajando contigo“ wirbt der omnipräsente Internet- und Handyanbieter Claro auf einem Banner, an dem wir vorbeifahren, als wir die staubigen Straßen des Dorfes Pacasmayo verlassen. Er wirkt hier seltsam Fehl am Platz.

Die Panamericana ist die ultimative Traumstraße für jeden ambitionierten Road-Tripper. Ein Straßensystem, das sich einmal quer durch den amerikanischen Doppelkontinent von Alaska bis Feuerland zieht. Mich führt die Straße Richtung Norden nach Chiclayo, der viertgrößten Stadt des Landes, etwa 800 km nördlich von Lima. Im Luxus-Doppeldecker mit warmen Abendessen und Frühstück fühle ich mich wie in einer Blase. Die Eindrücke der Welt um mich herum ziehen vorbei wie Bilder aus einem Dokumentarfilm, irgendwie unwirklich und noch gar nicht greifbar.

19. Oktober 2014No Comments

Vom Sinn und Unsinn roter Fäden

Kein Ahnung ob es sinnvoll ist oder nicht, aber ich hatte das Gefühl ich müsste meine Reise unter ein Motto stellen. Dem ganzen einen roten Faden geben. Ein Konzept formulieren und dieses stringent durchziehen. Da spricht der Grafik-Designer in mir. So habe ich es ja schließlich gelernt.

Auf der einen Seite wehre ich mich dagegen, mein Vorhaben als "Projekt" zu verstehen, das erfolgreich sein kann oder eben nicht. Wie soll sich das denn auch messen lassen? Und überhaupt, habe ich dann nicht Erwartungen an die Reise, die dem Geiste des Spontanen, des Sich-treiben-lassens wiedersprechen? Auf der anderen Seite mag ich den Gedanken, ein Leitmotif zu haben. Sich im Vorfeld Gedanken darüber zu machen, warum man die Reise eigentlich unternimmt. Die Erwartungen, die man vielleicht hat, zu hinterfragen. Seine Einstellung zum Reisen zu kalibrieren.

Ich bin an dem Spruch oben hängen geblieben, den ich auf einer Wand an der Strandpromenade von Pimentel entdeckt habe und der ursprünglich mal als Werbeslogan für InkaCola genutzt wurde: "Con Creatividad todo es possible"

Der Begriff "Kreativität" wird oft falsch verstanden. Es geht nicht (nur) um die Fähigkeit etwas zu kreieren, ein Bild zu zeichnen oder aus alten Paletten einen Tisch zu zimmern. Kreativität ist – soweit mein Laien-Verständnis reicht – vor allem die Fähigkeit Lösungsmöglichkeiten zu Problemstellungen zu entwickeln und umzusetzen.

Mich hat der Spruch deshalb angesprochen, weil die Reise von mir so viel Kreativität abverlangen wird wie vielleicht kein anderes Vorhaben bisher. Und weil ich sie nutzen will um meine Kreativität zu schulen. Zu Lernen. Über die Menschen, die in Südamerika leben. Über andere Kulturen, andere Lebenskonzepte, Ansichten, ganz alltägliche Dinge. Beobachten. Eintauchen. Austauschen. Mich inspirieren lassen.

Der Kontakt zu den Menschen vor Ort ist für mich der beste und schönste Weg, ein Land und seine Leute kennen zu lernen. Ich habe den Luxus, ohne Zeitdruck reisen und auch längere Zeit an einem Ort verbringen zu können, falls es sich ergibt. Dabei will ich eigene kleine Projekte durchführen oder mich an Projekten anderer zu beteiligen. Etwas zurückgeben. Inspiration sein. In welcher Form auch immer. Alles ist möglich.

Wahrscheinlich wird die Wand in Pimentel bald überstrichen. Der Sommer beginnt, die Touristen kommen, da muss die Promenade schick und sauber sein. Ich hoffe, sie lassen sich etwas kreatives einfallen...

 

5. September 2014No Comments

Per Anhalter nach Lissabon (2)

Good luck to all hitch-hikers - Dara & Mitzy (Ireland)

Der Satz steht mit dickem Edding an die Toilettentüre der Raststätte geschrieben. Unwillkürlich überkommt mich eine Gänsehaut und ich frage mich, wie Dara und Mitzy von unserem Abenteuer wissen konnten, denn ganz offensichtlich hatten sie diese Nachricht ganz speziell für uns geschrieben. So jedenfalls fühlte es sich an.

Am Morgen waren wir in Toledo zu unserer letzten Etappe aufgebrochen. Knapp 600 km trennen uns nur noch von Lissabon. Die A5 führt an Toledo vorbei direkt nach Portugal. Wenn wir es auf eine Raststätte an der Autopista schaffen würden, sollte der Rest ein Kinderspiel sein.

Zunächst aber müssen wir erst mal raus aus der Stadt. Das ist in der Regel der schwierigste Teil des Hitchhikens. Noch im Hostel legen wir uns einen groben Plan zurecht und suchen uns auf der Karte Orte aus, von denen wir glauben, dass die Chance dort relativ groß sei mitgenommen zu werden. Zufahrtsstraßen oder Kreisverkehre in Autobahnnähe sind dafür am besten geeignet, die tatsächlichen Begebenheiten vor Ort können wir allerdings nur erahnen. Wichtig ist, dass uns potentielle Fahrer früh genug sehen. Sie dürfen an der Stelle nicht zu schnell sein und müssen Platz und Zeit zum Anhalten haben.

Wir wollen früh los, weil die Temperaturen im Landesinneren im Sommer gerne auf über 35 Grad im Schatten ansteigen. Frühstück gibt es im Hostel erst ab acht Uhr, ich will die Zeit allerdings noch für einen kleinen Foto-Spaziergang im Morgengrauen nutzen. Also schlendere ich noch etwas schlaftrunken durch die leeren, verwinkelten Gassen, während sich die Sonne langsam über die verzinnten Mauern der historischen Altstadt schiebt.

Bis wir gefrühstückt und gepackt haben ist es zehn Uhr. Der Bus bringt uns bis an den Stadtrand. 20 Minuten später erreichen wir den Kreisverkehr unserer Wahl. Außer Straße, Sand und Sonne gibt es hier draußen nichts. Keine zehn Tage vorher hatten wir noch mit Jacke und Regencape an der Straße gestanden, heute brennt uns die Sonne die Haut vom Leib. Unseren kleinen Regenschirm funktionieren wir kurzerhand zum Sonnenschirm um. Wenn uns hier schon niemand aus reiner Nächstenliebe mitnimmt, dann vielleicht aus Mitleid.

Es dauert zwei Stunden, bis uns Ángel erlöst. Der Geschäftsführer von Siemens Healthcare in Spanien ist ein wahnsinnig interessanter Gesprächspartner. Von ihm lerne ich mein neues spanisches Lieblingswort: "Duende". Übersetzt bedeutet es Kobold, bezeichnet aber auch Dinge oder Orte mit einem ganz besonderen, magischen Charme. Toledo sei für ihn eine von drei Städten in Spanien mit „Duende". Sevilla hatte ich vor zwei Jahren schon kennen und lieben gelernt. Granada steht für die Rückreise auf dem Programm.

Mit Toledo im Rückspiegel muss ich an das Ziel unserer Reise denken. Lissabon ist für mich schon jetzt eine Stadt mit „Duende", ohne dass ich sie jemals gesehen habe. Im Laufe der letzten zwei Jahre hat sich die Stadt am Tejo zu so etwas wie meinem Sehnsuchtsziel entwickelt. Der Roman "Nachtzug nach Lissabon" von Pascal Mercier besiegelte dann endgültig den Entschluss zu meiner Reise. Und nun spüre ich, wie sich meine Vorfreude, die Spannung auf das uns erwartet, aber auch die Erwartungen mit jedem Tag und jedem Kilometer steigen.

Ángel setzt uns an einer ideal gelegenen Raststätte direkt an der A5 ab und verabschiedet sich mit den besten Wünschen. Wir kaufen uns eine Wassermelone und setzen uns in den Schatten. „Good luck to all hitch-hikers“. Das Glück können wir wirklich gebrauchen. Spanien gilt als sehr schwieriges Land um per Anhalter zu fahren. Ángel ist in Spanien der einzige Fahrer, der uns vom Straßenrand mitnimmt. Alle anderen Mitfahrgelegenheiten müssen wir uns mühsam erarbeiten, indem wir Leute direkt ansprechen.

Die besten Orte dafür sind natürlich Tankstellen, oder besser: Autobahnraststätten. Doch dahin zu kommen ist nicht immer einfach. Als wir in Bilbao Richtung Madrid mit Daumen und Pappschild keinen Erfolg haben, es aber laut Karte irgendwo in der Nähe eine Raststätte geben muss, versuchen wir es zu Fuß. Als wir den Ort endlich erreichen, müssen wir feststellen, dass zwischen uns und unserem Ziel ein Fluss durchs Tal rauscht und dahinter eine steile, wild bewachsene Böschung auf uns wartet. Während ich noch mit unserem Schicksal hadert, ist Simon schon den Hang um Fluss runtergeklettert und steht mit seinen Schuhen in der Hand knietief im Wasser. Vielleicht gibt es flussaufwärts eine Möglichkeit die Böschung hochzuklettern. Der Fluss ist etwa 15 Meter breit, aber hier scheint das Wasser nicht so tief zu sein. Ein paar größere Steine ragen aus dem Wasser heraus, dazwischen wirbelt die Strömung das Wasser so auf, dass man das Flussbett nicht sehen kann. Mir bleibt nichts anderes übrig als mich auf meine Balance und den Tastsinn meiner Füße zu verlassen. Der Rucksack auf dem Rücken und das Wissen um mein iPhone und meine Kamera im Gepäck machen das Unterfangen nicht leichter. Aber wie ist das noch: Der Weg ist das Ziel! Na gut, also irgendwie durch. Trotz der kurzen Nächte und anstrengenden Tage fühle ich mich plötzlich hellwach und quicklebendig.

Das andere Ufer erreichen wir schließlich schweißgebadet, aber mit trockenen Rucksack. Ein Pfad führt uns noch einige hundert Meter am Fluss entlang, bis wir zu unserer Erleichterung eine Stelle in der Böschung finden, die nicht komplett zugewachsen war. Nach einer abenteuerlichen Kletterpartie stehen wir vor unserer Raststätte. Zur Belohnung gibt es einen kräftigen Schluck aus der kleinen Whiskey-Flasche, die für besondere Momente auf der Reise bestimmt ist: zum Aufmuntern nach Niederlagen oder zur Feier von kleinen Erfolgen. Letzteres ist mir eindeutig lieber.

"Perdon, estamos haciendo autostop a Lisboa y buscamos un viaje en direción de Portugal." Das Ansprechen von fremden Menschen verlangt immer wieder neu Überwindung, aber mit der Zeit werden wir etwas sicherer und ich freue mich schon auf meinen zwei-wöchigen Spanisch-Kurs, den ich im Anschluss an Lissabon in Valencia machen werde. Ich bin froh, dass Simon dabei ist, der auch Situationen bewältigen kann, in denen ich nur noch Spanisch verstehe, sozusagen.

Für die letzte Etappe unserer Reise ergibt sich dann aber noch mal eine ganz besondere sprachliche Herausforderung. António, ein Portugiese, der geschäftlich in Madrid unterwegs und nun auf dem Rückweg nach Portugal ist, spricht kein Englisch und nur sehr gebrochen Spanisch. Trotzdem - oder vielleicht gerade deswegen - ist diese Fahrt für mich eine der eindrücklichsten unserer ganzen Reise. Die Frage, was unsere Fahrer davon haben, wenn sie uns mitnehmen, konnten wir bisher immer ganz gut beantworten. Sie freuen sich über Gesellschaft und die ein oder andere Geschichte. Viel mehr können wir ihnen ja auch gar nicht bieten. Für António stellt sich das anders dar. Abgesehen von der Tatsache, dass wir uns kaum verständigen können, hat er als Geschäftsführer eines Architektur-Büros mit mehr als 70 Mitarbeitern sicherlich andere Dinge im Kopf. Während der Fahrt führt er geschätzte 30 Telefonate und seine Termine kann er nur deswegen einhalten, weil er mit 200 Sachen über die Autopista prescht. Trotzdem haben wir nie das Gefühl, dass wir ihm eine Last seien.

António hat am Abend noch einen geschäftlichen Termin in Safara, einem winzigen Dorf hinter der portugiesischen Grenze. Er bietet uns an, ein Hotelzimmer im nahegelegenen Moura für uns zu reservieren und uns dann am nächsten Tag in aller Frühe direkt nach Lissabon zu fahren. Wir nehmen dankbar an und fahren weiter Richtung Portugal, der schon tief stehenden Sonne entgegen. Als die Scheibe langsam hinter den sanften Hügeln des portugiesischen Hinterlandes verschwindet, sitzen Simon und ich auf einer Bank vor den Häusern von Safara und genießen eine Idylle, wie ich sie mir für Portugal nicht schöner hätte ausmalen können. Ein paar ältere Herren mit Schiebermütze sitzen auf den Stufen vor der Kirche, zwei Kinder spielen im Staub Fußball. In der Ferne Hundegebell. Weit weit weg die Hektik des Alltags.

Davon lässt sich nun auch António anstecken. Nach einer guten Stunde holt er uns ab und verkündet, dass er gerade einen Deal über 50.000€ abgeschlossen hat. Zur Feier des Tages lädt er uns ins Restaurant „O Trilho“ ein. Warum wir dort Haifischsuppe essen erschließt sich mir nicht so ganz, aber es ist mir auch egal. Ich fühle mich gut, als wir durch die von den Straßenlaternen in gelbliches Licht getauchten Gassen von Moura spazieren. Die Nacht verbringen wir in einem zum Hotel umfunktionierten Palast, der mit Abstand schönsten Bleibe unserer Reise und für 22€ pro Person unglaublich günstig.

Am nächsten Morgen stehen wir mit der Sonne auf, genießen ein königliches Frühstück im Speisesaal und setzen uns ein letztes Mal ins Auto.

16 Tage und fast 2.800 km liegen hinter uns, als wir über die 17 Kilometer lange Ponte Vasco da Gama nach Lissabon reinfahren. Die Morgensonne im Rücken lässt die Stadt weiß erstrahlen, in der Ferne die grünen Hügel von Sintra und eine Ahnung vom Atlantik, der sich bis weit hinter den Horizont erstreckt. Wir haben es geschafft!

2. August 2014No Comments

Per Anhalter nach Lissabon (1)

Als Javi die zweite Flasche Rioja anbricht und ich der spanischen Unterhaltung nicht mehr so ganz folgen kann, klinke ich mich für einen Moment aus und lasse die Szene einfach auf mich wirken. Simon und ich sitzen mit unserern Gastgebern in der Küche, vor uns eine selbstgemachte Tortilla, vier Sorten Käse und kleine, gedünstete Paprikas, die sie neben ihren Tomaten und den drei Hanfpflanzen auf dem Balkon ihres Apartments im Casco Vieja von Bilbao anbauen. Arturo ist Künstler, sein Lebensgefährte Javi ein bisschen Philosoph, ein bisschen Historiker, offiziell aber Bauzeichner und des englischen nicht mächtig. Also diskutieren wir auf Spanisch, so gut es geht, bis spät in die Nacht.

Es sind Momente wie diese, die uns zu unserer Reise inspiriert haben. Per Anhalter nach Lissabon, ein Leben am Straßenrand und auf den Sofas fremder Menschen, vollkommen abhängig von der Hilfsbereitschaft anderer, offen für alles und jeden, dem wir auf unserer unkonventionellen Reise begegnen.

Oder eben nicht gegegnen... Denn die allermeisten Menschen fahren einfach an uns vorbei ohne uns auch nur eines Blickes zu würdigen. Einige grinsen uns an, als hätten sie noch nie Anhalter gesehen (haben sie vielleicht auch nicht). Andere zucken mitleidig mit den Schultern oder versuchen uns klar zu machen, dass sie keinen Platz oder keine Lust haben oder nicht in unsere Richtung unterwegs sind.

Nach einer halben Stunde Warten beginnen die Spekulationen: Stehen wir an der falschen Stelle? Ist die Beschriftung  auf dem Schild nicht gut? Nach einer Stunde schauen wir mal wieder auf die Karte und legen uns einen Alternativplan zurecht. Nach zwei Stunden macht sich existentieller Zweifel breit. Vielleicht hätten wir doch lieber zuhause bleiben oder einfach fliegen sollen? Es ist eine Lektion in Geduld! Am zweiten Tag halten wir bei Mulhouse fünf Stunden an der Straße durch, bevor wir unsere Bemühungen aufgeben und die vier Kilometer ins Stadtzentrum laufen um uns ein Hostel zu suchen.

Es dauert drei ganze Tage, bis wir Lyon erreichen. Dort verbringen wir einen unglaublich schönen Tag, bevor wir uns auf zur nächsten Etappe machen. Klar, der Weg ist das Ziel, aber es drängt sich die berechtigte Frage auf: Warum dieser ganze Aufwand?

Auf einer Tankstelle am anderen Ende von Mulhouse kommen wir mit Marc ins Gespräch, einem etwas verpeilten aber sehr herzlichen Typen um die 50, der mit seinem 20 Jahre alten Fiat Coupé von Bergen in Norwegen bis nach Marokko unterwegs ist. Er fährt die Strecke am Stück, schläft hin und wieder ein paar Stunden auf Rastplätzen und freut sich über die willkommene Abwechslung genauso wie wir. Der Kühler des Coupés funktioniert nicht, wir müssen also die Heizung auf volle Pulle warm stellen und während der Fahrt alle Fenster öffnen. Alles egal. Mit 90 Kilometern pro Stunde, einem großen Glücksgefühl und einer weiteren abgefahrenen Geschichte im Gepäck zuckeln wir über die Autobahn nach Lyon.

Ich bin gespannt welche Eindrücke diese Reise für mich persönlich hinterlassen wird. Jean-Claude, der uns von Sélestat nach Mulhouse mitnimmt, erzählt, wie er vor 40 Jahren als 16-jähriger durch Frankreich getrampt ist. Die Erfahrung, sagt er, war unendlich viel mehr wert, als die zwei Wochen Schulunterricht, die er damals geschwänzt hat.

In Bordeaux laufen wir gleich mehreren Hitchhikern über den Weg. Pollux und Justine sind in der Bretagne gestartet, Lucas in Delft. Alle sind auf dem Weg nach Portugal, wo Anfang August ein alternatives Elektro-Festival mit allerlei Kunst und Performance stattfindet. Das erklärt auch die aufgällig hohe Dichte an Regenbogen-Schlabberhosen, Dreadlocks und Backpacks sowie den Mangel an Couchsurfing-Unterkünften in Bordeaux.

Die erste Nacht verbringen wir in einem Hostel, für die zweite Nacht bekommen wir dann doch noch ganz spontan eine Zusage. Frederic ist mit Leib und Seele Musiker. Aber weder Chanson-Sänger noch Akkordeon-Virtuose, sondern knallharter Metal-Head. So sieht er aus und so lebt er. Seine Wohnung hat einen morbiden Charme. Aber als wir uns dann im Dick Turpin Inn noch mit seinen Freunden treffen, wird mal wieder jegliches Schubladendenken über den Haufen geschmissen. Ich liebe solche Momente und muss an Paolo Coelho denken, der mal sagte beim Reisen solle man lieber Bars besuchen als Museen, weil sich dort das wahre Leben abspielt.

Ich habe im letzten Jahr selber einige Couchsurfer gehostet und dabei ganz gute Erfahrungen gemacht. Eine Surferin sagte mal: "Ich couchsurfe nicht um zu reisen, sondern ich reise um zu couchsurfen". So ähnlich könnte man den Grundgedanken unserer Reise formulieren.

Hätte ich jemals Zweifel am Prinzip Couchsurfing gehabt, er wäre gleich am ersten Abend unserer Reise vollständig vernichtet worden. An unserem Startpunkt, der Raststätte Denkendorf bei Stuttgart wurden wir von Thomas aufgesammelt, der eigentlich direkt bis nach Lyon durchfahren wollte. Wir wähnten uns schon im Hitchhiker-Himmel, bis uns kurz hinter der Grenze die Gendarmerie in Gambsheim ein Strich durch die Rechnung machte. Thomas hatte nur Kopien der Fahrzeugpapiere bei sich und durfte deswegen nicht weiterfahren. Bis wir eine Fahrt nach Strasbourg gefunden hatten vergingen gute zwei Stunden. Und noch mal so lange standen wir an einer Autobahnauffahrt in der Hoffnung noch nach Dijon weiterfahren zu können. Als die Straßen um neun Uhr abends praktisch leer waren, mussten wir einsehen, dass wir hier heute nicht mehr wegkommen.

Im McDonalds schickten wir schnell noch ein paar verzweifelte Couch-Anfragen raus. Es war Montag abend, nach zehn Uhr und wir gedanklich schon in einem knarzenden Etagenbett. Als ich gerade meinen Personalausweis auf den Tresen in der Rezeption des Hostels legen wollte, kam eine Nachricht von einem potentiellen Host mit der Frage ob wir denn schon eine Schlafmöglichkeit gefunden hätten, wir könnten sonst gerne bei ihr pennen! Wenig später saßen wir bei Charlotte in der Küche, aßen Eier à al coque mit Käse, schlürften Tee aus dem Iran und tauschten uns über unsere (noch wenigen) Erfahrungen beim Hitchhiken aus. Am nächsten Tag verabschiedeten wir uns von ihr wie von einer guten Freundin, die wir lange nicht mehr gesehen hatten.